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Cucina povera: Wie Resteverwertung und Einfachheit die italienische Küche formten

Handgemachte Pasta, frisches Fleisch, regionales Gemüse: Das ist die Cucina Povera, die „arme Küche“. Studenten aller Länder dürften jetzt laut anfangen zu lachen, für sie klingt es vermutlich nach Luxus pur…

Ein weißer Teller mit Spgehtti Carbonara, Stoffserviette und einer Schale mit geriebenem Käse
Eines der international bekanntesten Gerichte der cucina povera: die Carbonara. © GettyImages/ Lisovskaya

Wie wir vom EAT CLUB oft predigen, entstehen aus den simpelsten Zutaten die leckersten Geschmackserlebnisse. Das Konzept der cucina povera aus Italien verdeutlicht dies nur. Übersetzt bedeutet “cucina povera” nämlich arme Küche. Aber was genau heißt “arme Küche”? Geht es um die Menschen, die jenes köstliches Essen zubereiten? Oder liegt es an der Einfachheit der Zutaten, weshalb die Gerichte nun mal sehr simpel sind? Auf beide Fragen antworten wir: Ja und ja!

Bei der cucina povera geht es nämlich um die Küche der Armen, die sich keine teuren Zutaten leisten konnten und somit aus den einfachsten Lebensmitteln dennoch diverse Köstlichkeiten zauberten. Resteverwertung ist hier das Stichwort. Und: Alle Gerichte kommen ohne großes Chichi aus.

Die Cucina povera in der Gastronomie

Wer sich heute in den bedeutenden Küchen der Gastronomie-Szene umschaut, wird die cucina povera schnell wiedererkennen. Denn wenn die Einführung der grünen Michelin-Sterne eins verdeutlicht hat, dann, dass Regionalität und Saisonalität wieder en vogue und längst in den gehobenen Küchen angekommen sind! Was heute unter dem Begriff Nose-to-Tail als Konzept geboten wird, war in der cucina povera die unumgängliche Komplettverwertung eines Tieres. Während in der Küche der Reichen Filet serviert wurde, schmorten in der cucina povera Rinderbäckchen. Übriggebliebenes, auch Tierblut, bereitete man am nächsten Tag zum einem anderen Gericht zu.

Übrigens: Auch Rinder- bzw. Kalbsbäckchen gelten heute als Delikatesse und landen nicht selten als Feiertagsgericht auf weihnachtlichen Festmahl-Tafeln.

Es sind aus Mängeln heraus entstandene Gerichte, die die cucina povera so besonders machen. Pasta con mollica (Semmelbrösel), con ceci (Kichererbsen) oder cacio e pepe (Salz und Pfeffer): Nur wenige Zutaten verfeinern die Nudeln. Das Ergebnis sind fantastische Pastagerichte, die außergewöhnlich in ihrer Einfachheit sind!

Pasta, Brot, Reis – die Sattmacher der cucina povera

Doch es sind nicht nur Nudeln, die eine wichtige Rolle in der cucina povera spielen. Auch Brot ist mehr als nur knuspriges Beiwerk, insbesonders bemerkbar in der toskanischen Küche. Jedoch nicht als feiner Crouton, es bedeckten oft ganze Scheiben Brot die Böden der Suppenteller, bevor die Suppe zugegossen wurde.

Das ungesalzene Brot der Toskana

Nicht nur das typisch toskanische Brot musste auf Salz verzichten, auch viele andere Gerichte kamen ohne das Lieblingsgewürz der Welt aus. Denn im 16. Jahrhundert wütete der Salzkrieg in der Toskana und Umbrien. Papst Paul der Dritte wollte mit der Einführung einer Salzsteuer seine Kreuzzüge finanzieren, das Volk weigerte sich. Das Ende der Geschichte besteht aus einem furchtbaren Blutbad, angerichtet durch die Schlächter des Vatikans und daraus resultierend auch aus ungesalzenem Brot. Erst später war man sich in der Toskana ganz sicher, dass das ungesalzene Brot ja sowieso viel besser zu Antipasti passen würde… So wurde wieder aus einem Mangel eine Tugend, mit der sich die Toskaner*innen auch heute noch stolz brüsten!

Übrigens: Besonders in den ländlichen Gegenden wirst du auf kleine Läden stoßen, über deren Eingang ein prachtvolles Schild hängt, auf dem sali e tabacchi (Salz(e) und Tabakwaren) zu lesen ist. Das waren früher nämlich die beiden wertvollsten Güter der innerländlichen Regionen.

Das ungesalzene Brot, pane sciapo, wurde wie Gold behandelt, nicht der kleinste Krümel durfte verschwendet werden. Daraus entstanden ist auch Panzanella (Brotsalat) und verschiedene Suppen, wie Ribollita oder Zuppa Pavese, eine kräftige Brühe mit einer Scheibe Brot und rohem Eigelb. Oft wurde altes Brot fein gerieben unter die Suppe gemischt, bis eine eine fast breiige Konsistenz entstand. So hat man viele hungrige Mägen füllen können…

Eine der weltweit beliebtesten Beilagen ist Reis, der nicht unerwähnt bleiben darf, spricht man über die cucina povera. Risi e bisi, Reis mit Erbsen, bieten Restaurants auch heute noch als Kinderessen an. Auch Arancini sind eine besondere Spezialität, für die Reisbällchen gefüllt und frittiert werden. Ein Snack, der nicht nur aus übrig gebliebenem, gekochten Reis gemacht wird, sondern auch hervorragend zum ersten Glas Wein des Tages passt.

Gemüse der cucina povera: Kult um die Fagiolata

Bronzetopf mit einem halbgeöffneten Decke und Fagiolata, daneben Brot
Ein Eintopf, für den eigens Feste gefeiert werden: Fagiolata. © GettyImages/ leonori

Die regionalen Gemüsesorten wurden bis zum Abwinken gegessen, in den verschiedensten Variationen. Eine besonders beliebte Zubereitungsart des Gemüses ist die Zugabe von Speck, denn auch der war günstig zu bekommen und machte lange satt. Hülsenfrüchte spielen noch immer eine große Rolle! An der Amalfiküste finden Volksfeste zu ehren der Bohnensuppe statt, le feste dei fagioli. Es ist schon beinah ein Kult um die Fagiolata enstanden und manch einen Touristen versetzt es in Erstaunen zu sehen, wie sich ein ganzes Dorf um den Eintopf versammelt…

Kennst du bestimmt schon: Eines der beliebtesten und gleichzeitig international bekanntesten Gerichte der cucina povera ist die Carbonara. Ganz wichtig: Bloß keine Sahne! Sie ist kein Bestandteil des Gerichts, sondern wird eher als Frevel eingeordnet. Eine Original-Carbonara besteht aus pasta al bronzo (Nudeln, die durch eine Bronze-Scheibe gedrückt wurden und dadurch eine leicht angeraute Oberfläche bekommen), pecorino, guanciale, Eiern, einem Schluck Nudelwasser und einer Prise frischem Pfeffer. Wer dieses Gericht in seiner Originalversion noch nicht zubereitet hat, sollte dies schleunigst tun und sich so einen Einblick in die cucina povera, die arme Küche, verschaffen. Du wirst es nicht bereuen…


Kennst du schon die Pasta Grannies? Die italienischen Nonne sind YouTube-Stars, dank Journalistin Vicky Bennison, die die Großmütter regelmäßig besucht. Sie entlockt ihnen alte Familienrezepte für authentische Nudelgerichte und die eine oder andere Geschichte aus dem Nähkästchen.